Noch in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war die standesamtliche Hochzeit im Wesentlichen ein bürokratischer Akt: Im Trauzimmer, einer Amtsstube mit dem Charme einer Kfz-Zulassungsstelle, wurden Personalausweise vorgelegt, Geburtsurkunden überprüft und die Trauformel gesprochen. Nach den obligatorischen Unterschriften und Stempeln war der Bund fürs Leben in einer Viertelstunde besiegelt. Wer es feierlicher haben wollte, musste halt in die Kirche.
Inzwischen hat sich viel verändert. Die Zeiten, in denen aufgrund einer Schwangerschaft noch geheiratet werden „musste“ oder der Vermieter den Trauschein sehen wollte, sind lange vorbei. „Die Hochzeit hat sowohl den Zwangscharakter als auch den Beigeschmack bürgerlicher Spießigkeit weitgehend verloren“, sagt Werner Klump, der schon Wedding-Planner war, lange bevor sich dieses Wort im deutschen Sprachraum etabliert hat: Der Senior-Chef des Landhotels Voshövel am Niederrhein unterstützte bereits in den 80ern frisch vermählte Paare beim Arrangement der Festlichkeiten.
Seine bemerkenswerte Erkenntnis: „Noch nie war Heiraten so romantisch wie heute!“
Kinder, Renten, Steuern: Gibt es noch Vernunftehen?
Natürlich wird nach wie vor auch aus praktischen Gründen geheiratet: „Gegenseitige Rentenansprüche und eine höhere Rechtssicherheit bei der Kindererziehung sind bis heute noch wichtige Motive für eine Eheschließung,“ sagt Klump. Der Aspekt der Steueroptimierung rückt dagegen schleichend in den Hintergrund. Da der Anteil gut ausgebildeter Frauen in westlichen Gesellschaften in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist, heiraten zum Beispiel Akademiker heutzutage eher unter sich als über Standes- und Einkommensgrenzen hinweg. Bei gleichem Einkommen ist der Steuervorteil
dann allerdings dahin. „Wenn der Oberarzt nun die Oberärztin statt der Krankenschwester heiratet, müssen wohl auch Arztromane neu geschrieben werden,“ schmunzelt Klump. Für ihn spielen Paare, die aus überwiegend rationalen Gründen heiraten, ohnehin nur eine untergeordnete Rolle: „Die feiern dann – wenn überhaupt – eher beim Italiener um die Ecke.“
Boris und Lilly & Co. – die Ära der Traumhochzeiten
Eine grundsätzliche Trendwende beim Thema Heirat vollzog sich vor allem in den 90ern. Als im Jahr 1992 RTL die Sendung „Traumhochzeit“ startete, war dies gleichermaßen
Ausdruck als auch Impuls für eine gesellschaftliche Veränderung, die bis heute anhält. „Ich weiß noch genau, als ich das erste Mal die Sendung gesehen habe“, erinnert sich Sohn Christopher Klump, der mittlerweile hauptamtlich die Hochzeitsfeierlichkeiten des Hotels managed: „Ich war zwar noch jung, aber trotzdem habe ich mir die Frage gestellt: Darf man aus so etwas Ernstem wie einer Hochzeit eine Spielshow machen? Naja, aber irgendwie war’s ja auch schön...“
Glamouröse Hochzeitsinszenierungen, die früher nur Königshäusern zustanden, sind heute zur Alltäglichkeit von Altstars, Sternchen und modernen Massenmedien geworden: „Verona und Franjo, Boris und Lilly oder Gülcan und ihr Bäckersohn haben die Wahrnehmung des Heiratens verändert“, so Christopher Klump. „Die Gestaltung der Feier ist in den Mittelpunkt gerückt. Für Hochzeitslocations ist das natürlich eine spannende Entwicklung.“
Heiraten heute – nur noch Show-Act und unverbindlicher Party-Spaß?
Auf keinen Fall, sagt Christopher Klump. Ein Grund für die neue Feierkultur ist für sie das gestiegene Erstheiratsalter, das sich in den letzten 20 Jahren um fast fünf Jahre erhöht hat. Die Eheschließung erfolgt nicht mehr vor dem beruflichen Einstieg, sondern danach. Die Brautpaare sind reifer und unabhängiger von den Eltern, die zu früheren Zeiten einen weit größeren Einfluss auf die Gestaltung der Hochzeit hatten. Auch wenn die Feiern unkonventioneller geworden sind, ist ihrer Meinung nach das gewachsene Bedürfnis nach Sicherheit ein wesentliches Motiv für die Heirat. „Der sichere Hafen der Ehe ist eine Bastion in Zeiten der Unsicherheit in einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint und vom Arbeitsplatz bis zum Ersparten kaum mehr Verlässliches zu bieten hat.“ Ist dieses Gefühl der Sicherheit angesichts der vielen Ehescheidungen nicht ein Trugschluss? „Überraschenderweise nicht,“ antwortet Christopher Klump: „Laut statistischem Bundesamt ist die durchschnittliche Dauer einer Ehe in den letzten 20 Jahren kontinuierlich gestiegen.“
Fernsehturm, Schwebebahn, Confideum: Die neue Romantik der Standesämter
Trotz zunehmender Abkehr von kirchlichen Trauungen scheint das Bedürfnis nach Ritualen und einer feierlichen Zeremonie ungebrochen. Als Alternative zum Altar sind die Standesämter in die Bresche gesprungen. Zunächst wurde das bürokratische Prozedere streng vom eigentlichen Trau-Ritual getrennt. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich dann auch das gesamte Angebot erheblich ausgeweitet. So wird heutzutage nicht nur „auf dem Amt“, sondern auch in Schlössern und Museen geheiratet. In Berlin darf man sich das Ja-Wort auf dem Fernsehturm, im Zoo oder unter Wasser geben, während die Wuppertaler auf Wunsch in der Schwebebahn den Bund fürs Leben schließen.
Auch am Niederrhein geht man mit der Zeit: Das „Confideum“, ein romantisches, kapellenartiges Gebäude in der Gartenanlage des Hotels, fungiert mittlerweile als Außenstelle des Standesamts Schermbeck. Selbst hinsichtlich der Öffnungszeiten zeigt man sich in Schermbeck unbürokratisch und flexibel: Auf Wunsch kommt der Standesbeamte auch samstags. „Deshalb haben wir viele Hochzeitsgäste aus dem Ruhrgebiet,“ erklärt Werner Klump. „Die verbinden die offizielle Zeremonie direkt mit der Feier und genießen gemeinsam mit Freunden die Idylle auf dem Land für ein ganzes Wochenende.“
Die Freiheit des 21. Jahrhunderts
Individualität statt Konvention Dass beim Hochzeiten das enge Korsett klassischer Konventionen abgelegt wurde, zeigt sich in vielerlei Hinsicht – so kommt es heute noch nicht einmal mehr darauf an, dass die Brautleute unterschiedlichen Geschlechts sind. Die Freiheit des 21. Jahrhunderts wird darüber hinaus an einer neuen Feierkultur erkennbar: „Hochzeitsfeiern sind mittlerweile so vielfältig wie die Paare, die Mode oder die Musikrichtungen unserer Zeit,“ erläutert Werner Klump. Gefragt ist eine Individualität, die genau auf das Brautpaar zugeschnitten ist: „Neben der Bauernhochzeit dürfen es heute auch Mottofeiern wie „Halloween“, „50er Jahre“ oder „Mittelalter“ sein.“ Und wenn kamerabestückte Drohnen das Hochzeitsgeschehen aus der Vogelperspektive filmen, stört dies niemanden mehr.
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